Besorgte Bürger und Angstmacher

Wie Ängsten und menschenfeindlichen Tendenzen begegnen?

Von Matthias Blöser, Projektreferent Demokratie im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN

Oft ist die Rede von „besorgten Bürgern“, deren Ängste man ernst nehmen müsse – auch im Zusammenhang mit fremdenfeindlichen Aktionen. Welche Ängste treiben z.B. PEGIDA-Anhänger*innen an? Geht es um berechtigte Sorgen oder sind hier Angstmacher am Werk? Wie können Kirche und Christ*innen dem begegnen und was ist notwendig, um die Demokratie in Deutschland zu stärken?

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Weltweit erstarken rechte Parteien und Bewegungen. Deutschland erlebt seit 2015 zugleich die größte Welle rassistischer Gewalt seit über 20 Jahren: Die Bundesregierung zählte 2016 über 3.500 und 2017 über 2.200 Straftaten gegen geflüchtete Menschen, ihre Unterkünfte und Unterstützer*innen. Die öffentliche Diskussion dreht sich hingegen stark um Ängste vor vermeintlicher „Islamisierung“ und „Überfremdung“. Solche Begriffe werden gezielt von rechten Organisationen eingebracht und  nehmen breiten Raum ein. Dabei knüpfen sie geschickt an realen oder gefühlten Problemen und der Lebensrealität vieler Menschen an, zum Beispiel an Ängsten vor sozialem Abstieg oder Gewalt.

Christinnen und Christen stellt sich die Frage, wie sie sowohl mit realen Ängsten und Befürchtungen als auch mit fremdenfeindlichen und antidemokratischen Aussagen und Handlungen in einer aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung umgehen können und was Kirche zur Stärkung der Demokratie beitragen kann. Wir sind als Christ*innen Teil des Problems, weil wir alle Vorurteile haben und andere abwerten und ausgrenzen können. Genau dadurch können wir zugleich Teil der Lösung sein, wenn wir in Kirchengemeinden Probleme und Sorgen offen und konstruktiv bearbeiten.

Demokratische Kultur unter Druck

Begriffe wie „Altparteien“, „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ zeichnen ein verzerrtes Bild von politischem System und Medien und untergraben die Basis für eine demokratische Debatte. Wenn PEGIDA oder AfD-Vertreter*innen Ängste schüren und „den Islam“ pauschal einer politischen Ideologie gleichsetzen und Muslimen die Ausübung der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit absprechen, ist das deutlich zu kritisieren. Demokratie basiert auf gleichen Rechten für alle. Die Würde jedes Menschen ist vom Staat zu schützen. Zur demokratischen Kultur gehören Dialog und Aushandlungsprozesse. In einer Zeit, in der von einer „Flüchtlingskrise“ gesprochen wird, ist Dialog schwieriger geworden. Umso wichtiger ist es, Dialog zu stärken und Wege der Verständigung zu suchen. Dies heißt jedoch nicht, unverhandelbare Positionen wie das Menschenrecht auf Asyl und die notwendige Ablehnung menschenverachtender Äußerungen aufzugeben. Die Grenze des Sagbaren hat sich verschoben. Wenn Björn Höcke von einem „Mahnmal der Schande“ redet und so die Vernichtung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden in Deutschland relativiert und gar eine „erinnerungspolitische Wende“ um 180 Grad fordert und so die mühsam erarbeitete deutsche Erinnerungskultur infrage stellt, ist eine rote Linie deutlich überschritten. Dies müssen wir  klar benennen und Position für Demokratie, Menschenrechte und geschichtliche Verantwortung beziehen. Die Kirche kann widerstreitende Positionen im Diskurs zusammenbringen. Sie ist jedoch keine rein neutrale Moderatorin, sondern positioniert sich klar für das menschenfreundliche Evangelium. Seine frohe und befreiende Botschaft ruft Christ*innen dazu auf, die Würde eines jeden Menschen zu achten und zu verteidigen. Gewalt und Rassismus haben keinen Platz im demokratischen Wettstreit, vorschnelle Ausschließungen missliebiger Meinungen aber auch nicht.

Nächstenliebe gegen Menschenfeindlichkeit

Grundlage christlichen Glaubens und Handelns ist das Gebot der Nächstenliebe. Christ*innen sind angesprochen, im Nächsten und auch im „Fremden“ sich selbst zu erkennen. Mit Martin Buber gesprochen: Du sollst deinen Nächsten lieben, er ist wie du. Mit dieser Grundhaltung  können Christ*innen Nächstenliebe leben und Klarheit zeigen gegenüber gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Ideologien der Ungleichwertigkeit, Volksverhetzung, Verächtlichmachung politischer Gegner*innen, Abwertung von Angehörigen bestimmter Gruppen und weitere Handlungen, die den gesellschaftlichen Frieden gefährden, sind aus christlicher Sicht unmissverständlich abzulehnen. Menschen sind vielfältig und gleichwertig zum Ebenbild Gottes geschaffen.

Die Person achten - menschenverachtende Äußerungen ächten

In der Kirchengemeinde und im persönlichen Alltag gilt es, mit der skizzierten Grundhaltung die Gesprächspartner*innen zu achten, deren Lebensrealität anzuerkennen und den Dialog wertschätzend zu führen. Zugleich sollten Christ*innen ihnen gegenüber genannte menschenfeindliche Äußerungen ansprechen. Nicht im Sinne einer besserwisserischen „Schelte“, sondern indem man dem Gegenüber weiterhin die gebührende Achtung entgegenbringt und sachlich und ruhig begründet, warum eine konkrete Aussage nach eigener Ansicht eine Grenze überschreitet. Wenn die Gleichheit aller Menschen abgelehnt wird, richtet sich dies gegen ein Fundament christlichen Glaubens. Ein Gespräch auf Augenhöhe eröffnet die Möglichkeit, dass solche kritischen Argumente gehört werden, ohne zu garantieren, dass sich eine problematische Ansicht ändert.

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Timotheus 1,7)

Mit diesem Satz spricht Apostel Paulus seinem Täufling Timotheus Mut zu. Der Glaube kann in unübersichtlichen und beängstigenden Situationen auch heute helfen.  In vielen Kirchengemeinden gibt es den Wunsch, Ängste und Polarisierungen in der Gesellschaft durch Gesprächsangebote abzubauen.  Ein christlich geprägter Dialog im Geist der Liebe und der Besonnenheit kann Polarisierungen überwinden. Dazu bedarf es notwendigerweise politischer Antworten auf Globalisierung, sozialen Wandel, Abstiegsängste und Sicherheitsbedürfnisse. Hier kann Kirche soziale Verwerfungen kritisieren, Alternativen aufzeigen und zugleich eine grundlegende Zuversicht in die Gestaltungs- und Veränderungsfähigkeit der Gesellschaft verbreiten.

Zum anderen brauchen wir bei allen nötigen Maßnahmen zur Sicherheit der Bevölkerung eine angstfreie Politik, die den Menschen Lust auf die Zukunft macht. Auf Ängste eingehen kann bedeuten, dass die Politik ihre Aufgabe ernst nimmt, Probleme zu lösen und damit positive Visionen für ein demokratisches Miteinander zu verknüpfen, in der gelingende Vielfalt ein selbstverständliches und zentrales Element ist. Schließlich haben wir als Bürgerinnen und Bürger die Aufgabe, uns am demokratischen Miteinander dauerhaft zu beteiligen. Ein guter Leitsatz: Nächstenliebe leben, Klarheit zeigen.

 

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