Angst überwinden

Im Gespräch mit Alfons Hamm, Professor am Zentrum für Psychologische Psychotherapie der Universität Greifswald.

Der Blutdruck steigt, das Herz rast, die Hände sind klatschnass: In Aufzügen, U-Bahnen und Flugzeugen bekommen viele Menschen plötzlich Angst. Um starke Angsterkrankungen zu überwinden, muss man lernen, mit der eigenen Angst umzugehen, sagt Alfons Hamm.

Herr Professor Dr. Hamm, was ist Angst?
Angst kann man als Gefühlszustand definieren. Man muss aber zwischen Angst und Furcht unterscheiden. Sie sind zwei verschiedene Phänomene, die immer dann auftreten, wenn eine Bedrohung im Raum steht. Bei Angst ist die Bedrohung noch nicht da, sie existiert nur im Kopf. Ich habe also Angst vor etwas, was potenziell in der Zukunft eintreten könnte. Deswegen ist die Angst auch nicht immer so klar umrissen wie die Furcht: Denn da ist die Bedrohung schon konkret vorhanden.

Weiterlesen

In welcher beispielhaften Situation werden Menschen mit Angst konfrontiert?
Wenn Sie Auto fahren, kann prinzipiell immer ein Unfall passieren. Sie haben von solchen Autounfällen schon in der Zeitung gelesen, möglicherweise waren Sie selbst schon in einen Unfall verwickelt. Wenn Sie in diesem Fall an die Stelle kommen, wo der Unfall passiert ist, dann baut sich die Angst in Ihrem Kopf auf – obwohl noch nichts passiert ist. Wir nennen das Erwartungsangst. Das führt dazu, dass Sie sehr aufmerksam gegen­über allen möglichen Gefahrenreizen werden. Sie sind in einer Halbachtstellung.

Und wann tritt die Furcht ein?
Furcht beginnt, wenn die tatsächliche Bedrohung sehr nah ist und es sehr wahrscheinlich ist, dass etwas passiert. Wenn wir auf der Straße mit dem Auto fahren und jemand kommt auf unserer Fahrbahnseite auf uns zu, tritt eine Situation ein, die viel körpernäher ist. Die Gefahr ist unmittelbar. Der Mensch bekommt eine Art Bewegungsstarre, verfällt in einen Panikmodus. Der Körper wird auf Flucht oder Angriff programmiert. Das autonome Nervensystem schüttet Adrenalin aus, Blutdruck und Herzrate steigen – das Herz klopft uns bis zum Hals. Wir haben klatschnasse Finger.

Herzrasen, klatschnasse Hände – wozu raten Sie in solch einer Situation?
Man sollte überlegen, mit welcher Emotion man gerade konfrontiert wird – Angst, Ärger, Scham, Schuld. Welche Situation löst diesen Gefühlszustand in mir aus? Ich muss ja erst mal herausbekommen, was das ist, was da mit meinem Körper gemacht wird. Wenn ich das nicht selbst herausfinden kann, dann kann ich mir Hilfe holen.

Im Zentrum für Psychologische Psychotherapie bieten Sie ambulante psychotherapeutische Therapien an, um Angststörungen zu behandeln. Mit welchen Ängsten kommen die Patienten zu Ihnen?
Wir sehen selten in der Therapie einfache Phobien wie die Angst vor Spinnen. Diese Angst haben zwar viele, aber die meisten können gut damit leben. Zu uns kommen im Wesentlichen Leute, die existenziellere Ängste haben. Davon gibt es drei Gruppen: erstens die, die Ängste haben bezüglich ihrer körperlichen Gesundheit. Sie haben Angst vor schweren Erkrankungen oder davor, die Kontrolle über ihren Körper zu verlieren. Bei der zweiten Gruppe haben die Menschen massive Angst vor sozialer Abwertung. Sie fürchten, dass sie sich vor anderen Menschen blamieren könnten. Personen, die zu der dritten Gruppe gehören, haben Erstickungsängste. Sie haben Schwierigkeiten, in öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, einen Aufzug oder auch ein Flugzeug zu besteigen.

Und wie sieht Ihre Therapieform konkret aus?
»Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.« Das ist im Prinzip der Kernsatz, um den es geht. Man sollte lernen, mit den eigenen Ängsten umzugehen. Dazu ist es wichtig herauszufinden, was die zentralen Befürchtungen sind, die die Menschen haben. Diese gilt es dann in der konkreten Erfahrung – durch das Aufsuchen der gefürchteten Situation – zu überprüfen. Eine Schocktherapie bringt in diesem Fall nichts. Es geht darum, in der Angstsituation eine neue Erfahrung zu machen. Gute Ratschläge nach dem Motto »Das ist doch gar nicht so schlimm« helfen überhaupt nicht. Angst verändert sich nur durch eigene Erfahrung. Was haben die Patienten für ein Konzept von Erstickung, wann glauben sie in Ohnmacht zu fallen, wie viel Luft brauchen sie. Es sind ja zum Teil sehr irrationale Einstellungen, die die Menschen haben. Und das muss überprüft werden.

Nehmen wir als Beispiel die Gruppe der Menschen, die an Erstickungsängsten leiden. Wie überprüfen Sie diese irrationalen Einstellungen?
Die Frage ist, ab wann Sie befürchten, dass Sie ohnmächtig werden: wenn zehn Personen im Fahrstuhl sind oder Sie in den zehnten Stock fahren? Erst dann sammeln Sie eine neue Erfahrung, wenn Sie in so einer Situation sind, wo Sie die Wahrscheinlichkeit relativ hoch einschätzen, dass Sie ängstlich werden. Wir haben hier im Institut einen Schrank, eine Panikkammer. Sie ist wie ein Fahrstuhl, nur enger. Wir spritzen dann zum Beispiel von außen Deo rein. Dann schauen wir, ob die Patienten das riechen. Der Patient macht die Erfahrung: Ich kann also gar nicht den gesamten Sauerstoff wegatmen.

Was passiert im Körper, wenn man die Angst überwunden hat?
Totaler Stolz bis hin zur Trance, es ist eine totale Lust. Es gibt Daten von Bungeespringern, die zeigen: Sogenannte Opiate werden ausgeworfen, das ist im Prinzip, so als ob sie einen Morphiumflash haben, der aber von Hormonen innerhalb des Gehirns gesteuert wird. Das berichten auch Marathonläufer, wenn sie über so einen bestimmten Punkt kommen, dass sie keine Schmerzen mehr erleben. Das passiert auch bei extremen Situationen, wenn Menschen starke Ängste überwinden. Diese Emotionen graben sich ins Gedächtnis ein.

Kann Angst eine treibende Kraft sein, kann sie Energien wecken?
Ich würde es Mutprobe nennen. Die Gegen-Emotion zu Angst ist Mut. Kinder lernen sehr früh, Mutproben zu bestehen. Sie machen stolz. Dieses Überwinden der eigenen Angst ist eine Ressource, die man im späteren Leben braucht – gerade wenn man negative Emotionen überwinden muss.

Berlin, Paris, Nizza, Brüssel, Manchester, – viele fragen sich mittlerweile, ob es noch sicher ist, Massenveranstaltungen zu besuchen. Wie kann man mit solchen Terrorängsten umgehen?
In unserem Gehirn sind zwei Systeme aktiv: das Warnsystem und das Sicherheitssystem. Durch die Medien wird die Wahrscheinlichkeit für einen Anschlag im Gehirn sehr viel höher gesetzt, weil Sie das Gefühl haben, dass jeden Tag etwas passiert. Aber wenn Sie ausrechnen, auf wie vielen Veranstaltungen nichts passiert ist, würden Sie merken, dass das Risiko, dass ein Koffer hochfliegt, ähnlich hoch ist, wie wenn sie von einem Blitz getroffen werden. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Da muss ich mich in meine vier Wände einschließen. Und selbst dann kann das Haus einstürzen. Sie sollten eine bewusste Entscheidung treffen und eine bewusste Wahrscheinlichkeitseinschätzung machen. Dann wird klar: Was ist mir wichtig, und will ich mich einschränken lassen?

Was fasziniert Sie persönlich am Thema Angst?
Mich hat der Zusammenhang zwischen Körper und Geist sehr früh interessiert. Angst ist neben der Wut eines der existenziellsten Gefühle, die wir haben. Ich habe Menschen kennengelernt, die sich unter die Geißel der Angst begeben haben, und ich habe gesehen, was das für schlimme Folgen im Leben haben kann. Dann ist das Leben nicht mehr lebenswert. Man verliert das Vertrauen in die Umwelt, die Mitmenschen, in das eigene Leben.

Das Interview führte Contance Bürger.