von Dr. Klaus Douglass, Referent für missionarisches Handeln und geistliche Gemeindeentwicklung
Sinnvoll ist jede Angst, die Sie vor einer realen Gefahr warnt, die Sie angemessen auf diese Gefahr reagieren lässt, die wirklich Reaktion auf etwas Äußeres ist und nicht eine Projektion von innen, die Ihr Leben intensiviert und nicht reduziert. Ziemlich sinnlos hingegen ist alle Angst, die Sie vor eingebildeten oder höchst unwahrscheinlichen Gefahren warnt, die Sie gefangen hält in Grenzen, die Gott nicht gesetzt hat, die sich immer weiter hochschaukelt, und die Sie völlig unangemessen reagieren lässt, die Sie lähmt oder in Panik verfallen lässt. Wenn Sie sich nicht ganz sicher sind, ob die Angst, die Sie haben, eine sinnvolle oder eine sinnlose Angst ist, fragen Sie nicht nur sich selbst, sondern auch andere Menschen Ihres Vertrauens.
Wenn es sich um eine „gute“ Angst handelt: Beseitigen Sie – soweit es geht – die Ursache dieser Angst. Grenzen Sie die Gefahrquelle sinnvoll ein. Aber wissen Sie gleichzeitig: Angst kann nur begrenzt helfen. In Matthäus 6,27 heißt es: „Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?“ Wenn es sich um eine sinnlose Angst handelt, müssen Sie handeln, jedenfalls dann, wenn diese Angst Ihre Lebensqualität über die Maßen einschränkt. Ängste wie etwa Flugangst bekämpft man wirkungsvoll nur dadurch, dass man den Stier bei den Hörnern packt und sich dieser Erfahrung aussetzt (Konfrontationstechnik). Und zwar möglichst so oft, dass man sich daran gewöhnt. Also: Augen auf und durch! „Tapfer ist nicht, wer keine Angst hat, sondern wer zwar Angst hat, ihr aber nicht gehorcht.“
Wenn Sie eine unangemessene Angst haben, schreiben Sie sich mal auf, was Sie zuvor gedacht haben – und überlegen Sie sich, ob das vorher Gedachte wirklich wahr ist! Schreiben Sie auf, was stattdessen wahr ist. Wie wäre es, wenn Sie mal versuchen, sich statt in die Unwahrheit in die Wahrheit hineinzusteigern? Wie macht man das? Genau, wie man sich in die Unwahrheit hineinsteigert: Man wiederholt immer und immer die gleichen – in diesem Fall aber wahren – Sätze. So oft und so lange, bis man sie wirklich glaubt – nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Gefühl. Autosuggestion nennt man so etwas. Einigen ist das suspekt, aber machen wir uns nichts vor: Die Angst arbeitet auch autosuggestiv. Warum sollten wir nicht versuchen, sie mit ih-ren eigenen Waffen zu schlagen? Meine vierte Strategie hängt eng damit zusammen:
Schon die alten Mönchsväter benutzten die so genannte „antirrhetische Methode“, um Ängste und andere ungute Gefühle in den Griff zu bekommen. So haben sie einen Bibelvers immer und immer wiederholt, bis die Wahrheit dieses Verses auch in ihrem Herzen ankam („to learn by heart“ heißt es im Englischen).
Sprache beschreibt nicht nur Wirklichkeit, sie schafft auch Wirklichkeit. Wenn ich sage „Ich habe schreckliche Angst“, beschreibe ich nicht nur, was ist, sondern verstärke gleichzeitig dieses Gefühl. Wenn ich stattdessen z. B. sage: „Ich habe ein bisschen Angst“ oder „Ich bin etwas beunruhigt“, nehme ich Luft aus meiner aufsteigenden Panik. Es ist gut über seine Ängste zu reden. Aber eben nicht mit grellen Schockfarben, sondern eher in „Pastelltönen“. In der Sprache einen oder zwei Gänge zurückschalten, damit die Gefühle es auch können.
Angst ist ein Aufmerksamkeitsphänomen. Es ist wie bei dem Kaninchen, das auf die Schlange blickt und sich nicht mehr rühren kann. Je mehr ich etwas beachte, desto mehr verstärkt es sich in meiner Seele. Bis es schließlich so groß ist, dass ich völlig gelähmt bin oder panisch werde. Dinge, die mir Angst machen, müssen beachtet werden, um angemessen auf sie reagieren zu können. Wenn meine Reaktion aber mehr und mehr unangemessen wird, muss ich meine Aufmerksamkeit von diesen Dingen gezielt weg richten. Meine Gedanken brauchen einen anderen Haftpunkt, ich muss aktiv an etwas anderes denken, das heißt meinen Fokus ändern.
Entweder ich lenke mich ab und richte meine Aufmerksamkeit auf etwas, was so stark ist, dass es mich von dem Gegenstand meiner Angst fortführt. Zum Beispiel ich wiederhole einen der Bibelverse, wie unter (4) vorgeschlagen. Oder fokussiere auf die Wahrheit, die meine Angst entkräftet, und „steigere mich in sie hinein.“ Oder ich richte meine Augen ganz auf Jesus. Eine wunderbare Möglichkeit, die wir allerdings nicht in Angstzeiten lernen können. Wir müssen das vorher können, wenn wir diese Fähigkeit in Angst- und Notzeiten zur Verfügung haben wollen.
Für unseren Körper gilt das gleiche wie für unsere Sprache: Er drückt zum einen aus, was wir fühlen, zum andern schafft und verstärkt er diese Gefühle. Das heißt: Wenn ich Angst habe und gebeugt laufe und mich klein mache und in mich zusammensinke – dann wird meine Atmung flacher – was meine Angst wiederum verstärkt, ich fühle mich klein und ohnmächtig, die Situation wird nicht besser, sondern schlimmer. Klar: Wenn ich mich „hängen lasse“, hänge ich früher oder später durch. Darum sollten wir gerade in Zeiten, in denen wir uns klein und mickrig fühlen, bewusst aufrichten, tief durchatmen und erhobenen Hauptes durch die Welt gehen und sogar ein bisschen lächeln. Nehmen Sie eine Körperhaltung ein, die Kraft ausstrahlt – und Sie empfangen Kraft. Weil das unwillkürlich auf unsere Stimmung zurückwirkt. (Sport!) Das gilt und wirkt übrigens nicht nur, wenn man Angst hat.
Es gibt verschiedene Atemübungen. Im Kern laufen alle auf etwas Ähnliches heraus, nämlich dass wir in aller Regel zu flach atmen und nur das obere Drittel der Lunge nutzen, was unsere Angst noch verstärkt. Das heißt, wir müssen lernen, tief und ruhig zu atmen, gerade, wenn uns nicht danach ist. Manche greifen in diesem Zusammenhang auf das Jesusgebet der Ostkirche zurück: 5 - 6 Sekunden einatmen und dabei sagen: „Herr Jesus Christus“, 1 - 2 Sekunden innehalten und dann 7 - 8 Sekunden ausatmen und dabei sagen: „Erbarme dich meiner.“
So etwas funktioniert nicht als Psychotechnik, wenn wir es aber in guten Tagen einüben, haben wir es in bösen Tagen parat. Ohne Gebet sähe die Übung so aus, dass man 5 Minuten lang wie folgt atmet: durch die Nase einatmen, dabei langsam bis 6 zählen. Kurze Pause (1 - 2 Sekunden), durch den Mund ausatmen und dabei bis 8 zählen – das ganze 5 Minuten lang. Danach geht es uns häufig besser, wir sind ruhiger, besser beieinander, haben mehr Kraft.