Andreas, 52

Auf einmal waren sie da, diese Panikattacken vor Gottesdiensten, vor Taufen, ich hatte auf einmal das Gefühl, das kannst Du nicht, obwohl ich das schon tausend Mal gemacht hatte. Ich fühlte mich fremdgesteuert, war nicht mehr voll dabei. Dann wurde ich richtig krank, legte mich ins Bett. Ich nahm kaum noch am Leben teil, nahm ab, bis meine Frau sagte: Das geht nicht mehr weiter so, du brauchst professionelle Hilfe. Dann schickte mich der Arzt in eine psychiatrische Klinik.

Ich war entsetzt, „psychisch krank“, das gab es nicht in unserer Familie. Hatte Gott hat mich verlassen, fragte ich mich. Er hatte mich verstoßen und wollte nichts mehr von mir wissen. Das, wovor ich am meisten Angst gehabt hatte war eingetroffen, ich war als Pfarrer gescheitert.

Dass ich eine depressive Phase hatte, habe ich erst später erfahren, bis dahin war ich erfolgreich, war mir alles zugeflogen. Mit der Zeit wurde mir klar, ich habe einfach zu viel gemacht, mir keine Ruhepausen gegönnt, habe mich selbst unter Druck gesetzt, zu viel von mir verlangt. Meine Ansprüche waren hoch, meine Ziele für die Gemeinde riesig.

Das Hamsterrad hatte sich immer schneller gedreht, Grenzen setzen kannte ich nicht, als Pfarrer war ich jederzeit für alle erreichbar, nur für mich selbst habe ich nicht gesorgt, meine Seele hatte ich aus den Augen verloren.

Doch bis zu dieser Erkenntnis war es ein langer Weg. In der Klinik kam ich mir anfangs vor wie im Gefängnis. Ich hatte Angst, dass ich jetzt als verrückt gelte und da nie wieder raus komme. Mit dem Stigma „psychisch krank“ habe ich sehr gehadert, ich dachte, wenn man so weit sinkt, gibt’s keine Hoffnung mehr. Ich hatte auch Angst vor den Medikamenten, vor den Gruppengesprächen und den anderen psychisch Kranken.

Dann kam alles anders. Ich bin sehr gut begleitet worden in der Klinik, die Gespräche mit dem Psychiater und in der Gruppe haben mir geholfen, das Ganze zu verstehen und nach und nach konnte ich auch meine Krankheit akzeptieren, das war ein großer Lernschritt.

Nach acht Wochen Klinik bin ich wieder langsam in den Beruf eingestiegen. Bei der Wiedereingliederung hat mich auch mein Dekan sehr unterstützt und mich immer wieder mal gebremst, damit ich nicht gleich wieder zu viel Tempo mache. Ich habe gelernt, offen über meine Krankheit zu sprechen. Es hat mir gut getan, sich nicht verstecken zu müssen.

Was mir geholfen hat, waren die Psalmen: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Das gibt Hoffnung, nicht allein zu sein. Ich kann nur allen raten, die in Krisen stecken, die Psalmen zu lesen, sie sind wunderbar ermutigend und erzählen von diesen tiefen Erfahrungen und das Gott uns niemals hängen lässt oder aufgibt auch in scheinbar ausweglosen Situationen.

Auch Paulus habe ich gelesen. Dass auch ein Apostel mit sich hadert und scheitern kann, das hat mich beruhigt.

Gott wieder angenähert habe ich mich auch durch Musik. „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu Dir.“ von Mendelssohn Bartholdy zum Beispiel. Das habe ich immer wieder gehört.

Durch die Durststrecken ist mein Glaube reifer geworden.

Was ich empfehlen kann: Neben Musik und Psalmen ist es wichtig, mit Menschen zu reden, die einem wohl gesonnen sind und einem gut tun, das müssen auch nicht unbedingt die engsten Familienmitglieder sein. An die frische Luft gehen, Joggen oder Spaziergänge machen, Sport treiben, einfach den Körper betätigen. Am besten und auch mit am schwersten ist es, die Depression oder was auch immer einen quält, als einen Teil von uns anzunehmen. Diese tiefe Empfindung nicht zu verdammen, sondern als die andere Seite des eigenen Selbst zu erkennen.

Heute habe ich weniger Angst vor schwierigen Erfahrungen, ich weiß, dass sie mich erweitern. Heute erfreue ich mich an kleinen Dingen, schenke diesen mehr Aufmerksamkeit. Heute sorge ich für mich, nehme mir Auszeiten, gönne mir einen freien Tag, arbeite im Garten und habe mehr Zeit für meine Familie. Heute bin ich mehr bei mir.