Marie, 23

Schon seit meiner Kindheit habe ich große Angst, jemanden, den ich liebe zu verlieren, zum Beispiel durch einen Unfall. Die Angst, dass geliebte Menschen sterben können hat sich immer weiter ausgeweitet. Ich konnte nicht ertragen, dass jemand geht ohne sich richtig zu verabschieden, denn im Kopf war immer das Gefühl, es ist vielleicht das letzte Mal, dass wir uns sehen. Dann konnte ich keine Filme anschauen oder Geschichten mehr hören, auch Märchen nicht, in denen Menschen sterben, das war für mich furchtbar.

Später hat es schon ausgereicht, wenn ich auch auf abstrakte Weise mit dem Thema Tod konfrontiert wurde. Um den Tod fernzuhalten und diese bedrückenden, dunklen Gedanken von mir abzustreifen, habe ich angefangen meine Hände zu waschen. Das ging dann immer öfter so, bis ich jedes Mal, sobald das Thema Tod in meinem Kopf war, ich diese angstmachenden Gedanken abwaschen wollte. Irgendwann war klar, dass ich das alleine nicht mehr steuern kann. Der Waschzwang, den ich anfangs noch verheimlichen wollte, weil ich mich geschämt habe, fiel meinen Eltern und nahen Freuden auf.

Weil ich damals noch Minderjährig war, haben meine Eltern dann professionelle Hilfe gesucht und das hat gut getan. Zum einen habe ich andere Menschen kennengelernt, denen es ähnlich geht, zum anderen habe ich gelernt, mich mit dieser Angst und ihrer Zwangsstörung zu akzeptieren und auch Verhaltenswege erlernt, die mir helfen, besser damit umzugehen.

Je älter ich werde, je besser klappt das auch. Ich versuche ruhig zu bleiben und das, was mir Angst macht, eher rational zu betrachten. Aber auch – wenn es nicht anders geht – mir ganz bewusst die Hände zu waschen und zu sagen: Ja, das ist nervig, aber es hilft mir und es ist nichts, wofür ich mich schämen muss. Die Scham verstärkt nämlich nur die Angst.

Was geholfen hat, nachdem ich gewagt habe, über meine Angststörung zu sprechen, ist auch das Verständnis, dass mir entgegen gebracht wurde. Das hatte ich zwar erhofft, aber nicht erwartet. Auch meine Familie und mein Freund stehen zu mir, das gibt mir Halt.

Aber alles können Freunde und Familie nicht auffangen, deshalb ist es wirklich gut, wenn man merkt, jetzt läuft etwas in die falsche Richtung, sich professionell helfen zu lassen. Bei mir hat es gedauert, bis ich das akzeptieren konnte, aber heute weiß ich, das ist gut und richtig, auch weil enge Vertraute in solchen Situationen oftmals überfordert sind. Ihnen fehlen die Distanz und das nötige Wissen.

Auch die Telefonseelsorge kann ein guter Weg sein, denn das Wichtigste ist, überhaupt aus seinem Versteck zu kommen, sich zu öffnen und über seine Probleme zu sprechen.

Kraft und Mut gibt mir mein Glaube, schon als Kind habe ich viel gebetet, damals ging es eher darum, die Familie vor Unheil zu schützen, verknüpft mit dem Wunsch, dass alle mindestens 100 Jahre alt werden. Heute bete ich, dass Gott es schon gut richten wird. Dass ich all das, was mich ängstigt in seine Hände legen kann und dass Gott mich so liebt, wie ich bin.